Immer wieder schreiben mir Mamas wie du: „Bin ich wirklich hochsensibel – oder ist das, was ich erlebe, vielleicht die Folge eines Traumas?“
Diese Frage kenne ich nur zu gut. Ich habe sie mir jahrelang gestellt. Ich hielt mich für „nur“ hochsensibel – bis ich merkte, dass da noch etwas anderes war. Etwas, das mich im Hintergrund ständig antrieb und gleichzeitig erschöpfte: ein ständiges „Auf-der-Hut-Sein“. Diese innere Wachsamkeit, die mich selbst in den friedlichsten Momenten nicht losließ – vor allem, wenn es um meine Kinder ging. Es hat lange gedauert, bis ich erkannte: Das war keine Hochsensibilität. Das war Hypervigilanz – die ständige Habacht-Stellung, die aus den Wunden meiner Vergangenheit entstanden ist.
Und ich musste lernen, sie zu unterscheiden. Nicht nur für mich, sondern vor allem für meine Kinder. Denn das alte Muster weiterzugeben, war das Letzte, was ich wollte!
Wenn du diese Zeilen liest und spürst, dass dich etwas berührt – dann lies weiter. Vielleicht erkennst du dich wieder.
Eines habe ich auf meinem Weg gelernt:
Diese Muster sind nicht dein Schicksal. Du kannst sie verändern – nicht nur für dich, sondern vor allem für dein Kind.
Hochsensibilität – Deine Gabe, die du feiern darfst
Wenn du hochsensibel bist, erlebst du die Welt auf eine einzigartige Weise.
Du fühlst tiefer, nimmst Stimmungen sofort wahr und kannst dich in andere Menschen hineinversetzen wie kaum jemand sonst. Auch die kleinen Details des Alltags berühren dich oft mehr als andere.
Ich erinnere mich an diese magischen Momente mit meinen Kindern:
- Wenn ich ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte vorlese und ihr Atem ruhiger wird, bis sie schließlich tief schlafen – und mich dieses tiefe Gefühl der Liebe fast überwältigt.
- Wenn wir draußen sind und meine Tochter plötzlich eine kleine Blume entdeckt. Ich sehe dann, wie sehr diese winzige Blüte sie fasziniert, und für einen Moment bleibt die Welt stehen.
- Oder wenn mich die Umarmung meiner Tochter so durchflutet, dass ich das Gefühl habe, für einen Augenblick vollkommen im Hier und Jetzt zu sein.
Diese Feinfühligkeit ist eine wundervolle Gabe. Aber ich kenne auch die andere Seite: Die Momente, in denen die Welt zu laut, zu grell, zu viel wird. Wenn sich dein Nervensystem anfühlt wie eine dünne Saite, die jeden Moment reißen könnte.
Wenn du einfach nur fünf Minuten für dich brauchst – aber dein Kind dich ruft, und du das Gefühl hast, es geht nicht mehr.
In diesen Momenten ist es wichtig, innezuhalten, tief durchzuatmen und dich daran zu erinnern, dass Hochsensibilität keine Schwäche ist. Es ist deine Superkraft – wenn du gut auf dich achtest!
Hypervigilanz – Der innere Wächter, der nicht schläft
Hypervigilanz sieht anders aus. Sie ist nicht die natürliche Feinfühligkeit der Hochsensibilität, sondern ein Überlebensmodus.
Ein innerer Wächter, der niemals schläft.
Vielleicht erkennst du diese Situationen:
- Dein Kind klettert auf den Spielplatz, und sofort siehst du nicht die Freude – sondern die Gefahr. Du spürst, wie sich dein Körper anspannt, dein Herz schneller schlägt. „Was, wenn es fällt?“
- Dein Baby schläft friedlich in seinem Bett, aber du kannst nicht entspannen. Alle paar Minuten gehst du nachsehen, ob es noch atmet.
- Oder du bist auf dem Weg in den Kindergarten und dein Kopf malt in Sekundenbruchteilen Szenarien aus: „Was, wenn wir einen Unfall haben? Was, wenn …?“
Diese Gedanken fühlen sich manchmal wie Realität an. Sie scheinen dich schützen zu wollen – aber in Wahrheit halten sie dich fest in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft.
Ein Teil von dir, der ständig auf Gefahrensuche ist. Der alles überprüft: „Ist mein Kind wirklich sicher? Habe ich etwas übersehen?“ Dieser Wächter hat seinen Ursprung oft in vergangenen Verletzungen – großen und kleinen.
Vielleicht erkennst du dieses Gefühl wieder: Die unbändige Wachsamkeit, die dich begleitet, wenn dein Kind unterwegs ist. Die Unsicherheit, ob du wirklich alles unter Kontrolle hast. Die ständige innere Stimme, die dich warnt, auch wenn es eigentlich keinen Grund gibt.
Ich kenne das. Und ich weiß, wie anstrengend es ist.
Dieser Schutzmechanismus hatte früher seinen Sinn. Er hat dich sicher durch schwierige Zeiten gebracht. Aber heute? Heute ist er oft nur noch eine Last. Und das Schlimme ist: Unsere Kinder spüren es. Sie nehmen diese unterschwellige Anspannung wahr – und manchmal übernehmen sie sie sogar.
Die feinen Unterschiede erkennen
Wie also kannst du herausfinden, ob das, was du erlebst, Hochsensibilität ist – oder Hypervigilanz? Hier sind einige Anhaltspunkte:
Wie erlebst du deine Kindheitserinnerungen?
- Hochsensibilität: Du hast viele lebendige Erinnerungen, auch an schöne Momente. Es gibt Lücken, aber sie sind nicht sehr groß.
- Hypervigilanz: Es gibt große Erinnerungslücken, besonders bei schwierigen Zeiten. Es fühlt sich an, als ob ganze Abschnitte (Jahre...) deines Lebens verschwunden sind.
Wie reagierst du auf Stress?
- Hochsensible Menschen suchen bei Überforderung Rückzug und Ruhe.
- Hypervigilanz lässt dir keine Pause. Dein Kopf bleibt im Modus „Gefahrensuche“, selbst wenn du Ruhe brauchst.
Dein Körpergefühl:
- Hochsensible Mütter spüren ihre Gefühle und körperlichen Signale sehr genau – es sei denn, sie sind extrem gestresst.
- Hypervigilanz trennt dich oft von deinem Körpergefühl. Es ist, als ob du dich von außen beobachtest und deine Empfindungen nicht mehr richtig wahrnehmen kannst.
Vertrauen in die Welt:
- Hochsensible Menschen haben meist ein Grundvertrauen. Sie glauben an das Gute im Menschen.
- Menschen mit Hypervigilanz neigen zu Misstrauen. Beziehungen einzugehen und sich wirklich fallen zu lassen, ist eine Herausforderung.
Warum das für dein Kind so wichtig ist
Jetzt kommt der wichtigste Teil: Alles, was du für dich tust, tust du auch für dein Kind. Kinder nehmen nicht nur das wahr, was wir sagen – sie spüren, wie wir uns fühlen. Wenn du dich ständig in einem Zustand der inneren Anspannung befindest, spüren sie das.
Vielleicht merkst du es daran, dass dein Kind selbst unruhig wird, schlecht schläft oder sich plötzlich überängstlich verhält. Das ist kein Grund zur Panik – sondern eine Einladung, hinzuschauen.
Hier liegt deine unglaubliche Kraft als Mutter: Du kannst den Kreislauf durchbrechen. Indem du hinspürst, was dich wachhält. Indem du liebevoll zu dir selbst bist und dich vielleicht zum ersten Mal wirklich fragst:
„Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen?“ Denn wenn du dich sicher fühlst, wird dein Kind es auch tun.
Stell dir vor, dein Kind wächst mit einem Gefühl von tiefer Sicherheit auf. Einem Vertrauen in die Welt, das es sich selbst aufbauen darf – weil du den Raum dafür schaffst. Es wird keine Angst übernehmen, die nicht seine eigene ist. Es wird frei sein, die Welt zu entdecken, mit einem Herzen, das offen und neugierig bleibt.
Was du tun kannst
Wenn du dich beim Lesen in einigen Punkten wiedererkennst, ist das ein großer Schritt. Diese Erkenntnis allein kann schon viel verändern. Du musst das nicht allein schaffen. Traumatherapie oder Gespräche mit erfahrenen Therapeut*innen können unglaublich hilfreich sein. Auch sanfte körperliche Übungen, Achtsamkeit und Selbstfürsorge können dir helfen, dein Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Eines verspreche ich dir: Es lohnt sich. Nicht nur für dich, sondern auch für dein Kind.
Und das Wichtigste: Sei liebevoll mit dir.
Du bist nicht „zu viel“ oder „zu empfindlich“. Alles, was du fühlst, hat seine Berechtigung. Und alles, was du für dich selbst tust, ist ein Geschenk für dein Kind! ❤
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